Verkehrshistorische Sensation!
U-Bahneingang Neu-Westend ist wesentlich älter als bislang angenommen!

Dieser Eingang befand sich, bevor er als Zugang zum U-Bahnhof Neu-Westend Verwendung fand, auf dem Nollendorfplatz und diente dort als Zugang zum 1910 eröffneten Schöneberger U-Bahnhof.

Diese Tatsache ist bislang völlig unbekannt und in keiner Publikation dargestellt worden. Dies möchte ich an dieser Stelle nachholen.

Zunächst zur Geschichte dieses Einganges auf dem Nollendorfplatz:
Um 1904 beschloss die damals eigenständige Stadt Schöneberg den Bau einer eigenen Untergrundbahn zur Erschließung des damals im Aufbau befindlichen sogenannten "Bayerischen Viertels". Am Nollendorfplatz wurde von Schöneberg der Anschluss an das Streckennetz der Berliner Hochbahn vorgesehen. Schon damals dachten die Stadtväter über einen Anschluss an die Hochbahn oder zumindest über die Weiterführung der eigenen U-Bahn in das Stadtzentrum von Berlin nach. Bis es aber soweit sein sollte, war es nötig, am Nollendorfplatz einen eigenen U-Bahnhof anzulegen, wo zumindest eine Umsteigemöglichkeit zur Hochbahn bestehen sollte. 

Im September 1908 endlich begann der Bau dieser U-Bahnlinie, die am Nollendorfplatz zunächst einen Endbahnhof in Form eines Sackbahnhofs mit einem Mittelbahnsteig erhielt. Der Mittelbahnsteig, der eine Länge von etwa 45 Metern hatte, war direkt verbunden mit einer Vorhalle, in der sich die Sperrenanlagen befanden. Diese Vorhalle konnte man damals sowohl direkt mittels eines Treppenabgangs vom Nollendorfplatz als auch durch einen Verbindungsgang vom Hochbahnhof aus erreichen. 

Der U-Bahnhof lässt sich architektonisch nicht genau einem bestimmten der zahlreichen Architekten dieser U-Bahnlinie zuordnen. Friedrich Gerlach aber, soviel ist sicher, hatte eine gewisse Vormachtstellung, was die Gesamtentwürfe betrifft. Es ist daher naheliegend, dass der Treppenabgang, insbesondere die steinerne Umwehrung nach seinen Plänen entstand. Diese Umwehrung entspricht auf jeden Fall voll und ganz den Schöneberger Architekturvorstellungen eines würdigen U-Bahnzuganges. Schöneberg legte bei all den U-Bahneingängen im eigenen Stadtgebiet größten Wert auf eine repräsentative Gestaltung. Und zwar auch vor dem Hintergrund, dass zumindest dieser Zugang am Nollendorfplatz keine allzu hohe Lebenserwartung haben sollte. 

Beim Studium der Grundrisse nämlich fällt auf, dass dieser Eingang genau innerhalb der zukünftigen Gleistrassen für den sogenannten Gemeinschaftsbahnhof liegt, der parallel angeordnete Verbindungsgang zum Hochbahnhof dagegen aber außerhalb dieser Gleistrassen liegt.

Am 1. Dezember 1910 wurde die Schöneberger Untergrundbahn feierlich eröffnet. Somit ging der U-Bahnhof am Nollendorfplatz als nördlicher Endpunkt der U-Bahnstrecke in Betrieb. Alten Fotographien nach zu urteilen unterlag die steinerne Umwehrung des Eingangs auf dem Nollendorfplatz relativ starken Verwitterungserscheinungen, denn bereits 1915 hatte sich der Stein stark verdunkelt und nicht mehr die helle leuchtende Ausstrahlung, wie noch zum Zeitpunkt der Eröffnung.

Schon recht bald rückten die Bautrupps wieder an: Es erfolgte ein Umbau, der vermutlich in der Zeit bis 1915 stattfand: Allerdings wurde nicht dieser U-Bahneingang umgebaut sondern vielmehr der parallele Verbindungsgang. Er besteht aus einem gebogenen längeren oberirdischen Gebäude, welches durch eine Rotunde mit kleinen Rundbogenfenstern beendet wird. da der Gang ein Gefälle aufweist, verschwindet er unter der Rotunde im Untergrund und führt in die Vorhalle des Schöneberger Bahnhofs. Die Rotunde wurde vollkommen umgebaut und durch eine Zwischendecke räumlich geteilt: Im oberen, ebenerdigen Teil wurde ein Ladenlokal eingebaut, welches in der Folgezeit von einer Bankfiliale genutzt wurde. Vermutlich wurde während der komplizierten Bauarbeiten der Verbindungsgang für den Publikumsverkehr geschlossen, womit die Fahrgäste zwangsläufig den oberirdischen Zugang nutzen mussten.

Nachdem der Umbau abgeschlossen war, dürften recht bald erneut Bauarbeiten begonnen haben: Am 1. Juli 1915 jedenfalls wurden die beiden Straßenbahnlinien xx und xx in der späteren Mackensenstraße eingestellt. Dies war notwendig, weil die Hochbahngesellschaft - sehr zur Freude der Stadt Schöneberg - mit dem Bau der "Entlastungslinie" beginnen wollte. Auf jeden Fall aber wurden die beiden Straßenbahnlinien wegen des U-Bahnbaus stillgelegt. Unmittelbar nach Stillegung wurde definitiv mit dem Bau der besagten U-Bahnstrecke begonnen, es existieren Fotographien aus dem Jahre 1916, die bei der Apostelkirche eine U-Bahnbaugrube zeigen. Der Zeitpunkt des U-Bahnbaus verwundert, denn der Erste Weltkrieg hatte längst begonnen. Entgegen allgemeinen Annahmen dürfte der U-Bahnbau doch recht zügig vorangeschritten sein, denn bereits 1917 kam der U-Bahnbau in ganz Berlin zum Erliegen. 

Hier am Nollendorfplatz wurde er erst 1925 wieder aufgenommen. Und in Fotographien aus dem Jahre 1924 zeigt sich der Nollendorfplatz absolut frei von Baustellen!

So ist zu vermuten, dass der Bau des gesamten U-Bahnhofs Nollendorfplatz bereits um 1917 im Rohbau abgeschlossen war. Die bedeutet, dass bereits, um die Baufreiheit zu erhalten, der alte U-Bahneingang zum Schöneberger Bahnhof spätestens bis gegen Jahresende 1915 abgetragen wurde. Dies bedeutet umgekehrt, dass der Verbindungsgang als einziger Zugang zum U-Bahnhof passierbar sein musste, das heißt, dass der Einbau der Bank damals bereits abgeschlossen gewesen sein musste.

Ortswechsel:

Zwischen 1910 und 1912 errichtete die Hochbahngesellschaft einen zweigleisigen U-Bahntunnel unter der Reichsstraße in Westend, einer gutbürgerlichen Wohngegend, die sich damals noch im frühen Entwicklungsstadium befunden hat. Der heutige Steubenplatz dürfte damals also noch gar nicht existiert haben. Auf jeden Fall aber war dort die Anlage eines U-Bahnhofs vorgesehen. Beim Bau des zweigleisigen Streckentunnels jedenfalls wurde dieser U-Bahnhof konstruktionstechnisch mit einem Mittelbahnsteig berücksichtigt. Am östlichen Ende dieses Bahnhofs war in einer Zwischenebene eine Vorhalle vorgesehen und daran anschließend wiederum der Zugang vom künftigen Steubenplatz her. Im November 1912 wurde in diesem Streckentunnel der Verkehr zur Betriebswerkstatt aufgenommen, die vollends im Januar 1913 in Betrieb ging. Im Juni 1913 wurde sogar ein regelrechter Gelegenheitsverkehr zum "Deutschen Stadion" aufgenommen, wo ein zunächst provisorischer U-Bahnhof namens "Bahnhof Stadion" entstand.

Die Züge fuhren zunächst ohne Halt durch das am damals noch unbebauten Steubenplatz gelegene Bahnhofsfragment durch. Der Weltkrieg verhinderte die damals vorgesehene zügige Bebauung dieses Areals und somit hatte die Hochbahngesellschaft auch nicht die ursprünglich vorgesehene Eile, diesen Bahnhof, wie anfangs vorgesehen, bis 1914 zu eröffnen. Allerdings verfolgte die Hochbahngesellschaft nach wie vor den Plan, diesen Bahnhof mittelfristig zu eröffnen. 

Architektonisch war dieser Bahnhof völlig belanglos und nur ein reines Ingenieurbauwerk ohne jeden ästhetischen Anspruch. So kam es der Hochbahngesellschaft sehr gelegen, dass am Nollendorfplatz ein würdiger U-Bahnhofseingang überflüssig wurde. Dies kam der Hochbahngesellschaft noch in anderer Form gelegen, denn wie bereits erwähnt, handelte es sich bei der Gegend um den Steubenplatz im Neuen Westend um eine gutbürgerliche Wohngegend, die auch in den öffentlichen Bauwerken eine gewissen architektonischen Anspruch stellte. So war sichergestellt, dass der Nollendorfplatz-Eingang im neuen Westend nicht deplatziert wirken würde.

Um 1915 dürfte wegen dem Bau der Entlastungslinie die Demontage des Eingangs am Nollendorfplatz stattgefunden haben und sofort der Transport des Eingangs nach Neu-Westend stattgefunden haben. Um den Bau abzuschließen, wird der U-Bahneingang wohl sofort aufgebaut worden sein, obwohl eine Eröffnung zunächst noch nicht stattfand. Anfang der 20er Jahre schloss sich dann tatsächlich die Bebauung um den Steubenplatz, wodurch der Ruf nach der Eröffnung des U-Bahnhofs immer nachhaltiger wurde. Am 20. Mai 1922 schließlich wurde der U-Bahnhof Neu-Westend für den U-Bahnverkehr freigegeben.

Doch, zurück zum Nollendorfplatz:

Nachdem der alte U-Bahneingang nun beseitigt war und dieses Gelände eine Baugrube wurde, dürfte der Verbindungsgang zur Hochbahn der einzig mögliche Zugang zum U-Bahnhof gewesen sein, denn es ist nicht überliefert, dass ein Ersatzzugang in welcher Form auch immer angelegt wurde. Auch nach Abschluss der U-Bahnbauarbeiten um 1917 blieb der Schöneberger U-Bahnhof voll betriebsfähig und war durch den Verbindungsgang erreichbar. Ein weiterer Zugang direkt auf den Nollendorfplatz hat an alter Stelle jedenfalls nicht mehr existiert, wodurch der Platz in seiner Oberflächengestaltung wieder hergestellt werden konnte.

 

 

Der U-Bahnhof Nollendorfplatz

Verkehrshistorische Sensation!

Der alte Zugang zum Schöneberger U-Bahnhof aus dem Jahre 1910 existiert noch. Wer hätte das vermutet! Durch einen Zufall fiel mir dies vor einiger Zeit auf.