1. August 1949: Die BVG wird geteilt!

Bisher hatte man allseits versucht, die BVG als einheitliches Unternehmen bestehen zu lassen. Dies wurde schließlich immer schwieriger. Von diesem Tag an gibt es eine BVG für den Westteil der Stadt und eine zweite BVG für den Ostsektor.
Wie es zur Teilung kam und was innerbetrieblich die Folgen sind, soll nachfolgend erläutert werden. Um die Teilung der BVG zu verdeutlichen, muss etwas zur politischen Situation in Berlin geschildert werden.

Als am 4. Juli 1945 die Westalliierten in ihre Sektoren einmarschierten, hatte sich keiner vorstellen können, dass es zu einer Zerreißprobe in der zivilen Verwaltung der Stadt oder gar der stadteigenen Versorgungsbetriebe kommen könnte. Man war sich einig, dass es für die Berliner Bevölkerung durch den Viermächtestatus keinerlei Behinderungen jedweder Art geben sollte.

Im April 1947 wurde Ernst Reuter zum Oberbürgermeister von Groß-Berlin gewählt. Die Sowjets waren aufgrund der politischen Einstellung Reuters gegen dessen Ernennung zum Oberbürgermeister. Sie erklärten daher die Wahl für ungültig und verhinderten so die Ernennung. Louise Schröder vertrat ihn daher treuhänderisch in seiner Position mit der Zustimmung der Sowjets. Am 23. Juni 1948 kam es dann im Zuge der Besprechungen betreffend der Währungsumstellung in Berlin im Stadtparlament zu Störungen. Diese Demonstrationen waren offensichtlich durch die SED gesteuert und wurden durch Polizeikräfte auch nicht verhindert. Der Polizeipräsident in Berlin war damals ein gewisser Herr Marggraf, er gehörte der SED an...
Nachdem die genannte Sitzung ergebnislos vertagt wurde, keimten erste Pläne auf, den Sitz einiger Magistratsdienststellen in die Westsektoren Berlins zu verlegen. Im September ´48, als das Stadtparlament mal wieder tagte, kam es erneut zu schweren Tumulten vor dem Stadthaus in der Ostberliner Parocialstraße. Auch diese Sitzung musste vertagt werden. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass die Sitzungen künftig in den Westsektoren abgehalten werden. Von nun an verlegten tatsächlich einige Dienststellen des Magistrates und natürlich die Stadtverordnetenversammlung (ohne die Mitglieder der SED) ihre Sitze und Tagungsorte in den Westteil der Stadt. Am 8. Oktober 1948 wurde zum Beispiel der Magistrat für Verkehr und Betriebe von der Oberwallstraße in der Innenstadt nach der Charlottenburger Fasanenstraße verlegt. Den Vorsitz dieser Magistratsabteilung führte seit Ende 1946 Ernst Reuter. Am 16. November 1948 wurde Reuter daraufhin als Verkehrsstadtrat vom neu konstituierten Ostmagistrat abgesetzt. Sein Nachfolger war ein gewisser Herr Dipl. Ing. Schlicke. Schlicke kam von der Potsdamer Straßenbahn.

Und hier kommt die BVG ins Spiel: Am 18. November 1948 bestellte Herr Schlicke die Direktion der BVG in seine Diensträume in die Oberwallstraße. Die BVG-Direktion betrachtete Schlicke als nicht weisungsbefugt und gehorchte gegenüber dem Dienstherren ausschließlich den Weisungen Reuters, der in den Westsektoren selbstverständlich seine Position behalten hatte und von Natur aus ein gutes Verhältnis zur BVG pflegte. Aus diesem Grunde hielt es die BVG für richtig, der Einladung aus dem Osten nicht nachzukommen. Daraufhin erschien Herr Schlicke am 20. November in Begleitung einiger Herren in der Hauptverwaltung der BVG in der Potsdamer Straße. Herr Schlicke wurde zwar empfangen, aber es wurde ihm deutlich gemacht, dass er nicht "Herr im Hause" ist. Dennoch bat er die BVG-Direktion um eine friedliche und kooperative Zusammenarbeit. Auch wenn die Machtstrukturen für die BVG klar schienen, durfte man die Augen nicht völlig vor der Wahrheit verschließen, denn die BVG betrieb ihr Liniennetz ja auch im Ostsektor und war somit den Weisungen des Ostmagistrates indirekt dennoch unterstellt. Somit war es für die BVG-Direktion nicht immer einfach, die Meinungen der beiden Magistratsabteilungen zu bestimmten Fragen unter einen Hut zu bringen. Eine Zeitlang wurde nach folgendem Prinzip verfahren: Zu unregelmäßigen Terminen war der Vorstand der BVG vormittags zur Besprechung beim Ostmagistrat, nachmittags bei Reuter. Gegen diese Praxis hatte Reuter nichts einzuwenden, er wünschte jedoch über den Inhalt der Unterredungen mit dem Osten unterrichtet zu werden.

Grundsätzlich galt auf allen Seiten die Ansicht, dass die BVG als einheitliches Verkehrsunternehmen für Groß-Berlin erhalten werden sollte. Im Laufe der Zeit, vor allem seit der Spaltung des Magistrats, wurde dies jedoch immer schwieriger. Insbesondere was die Personalpolitik betrifft, musste eine grundsätzliche Lösung gefunden werden. Es gab Bestrebungen einen gemeinsamen Verwaltungsbeirat aus Mitgliedern des Westens und Ostens zu bilden, doch dies entsprach nicht den Vorstellungen von Reuter, denn eine Bildung eines solchen Beirates hätte die faktische Anerkennung des Ostmagistrats durch Dienststellen des Westmagistrat bedeutet. Dies durfte natürlich unter keinen Umständen passieren. Es gab lediglich das Zugeständnis, dass man für die Anliegen des Ostmagistrats ein offenes Ohr hätte und deren Vorschläge zur Firmenpolitik "in angemessener Form" berücksichtigen wolle. Im Januar 1949 gab es erste Beschwerden seitens des Ostmagistrats, da die BVG, so dessen Ansicht, die Zusammenarbeit mutwillig behinderte. Im März 1949 gab es erste schwerwiegende Differenzen in der Personalpolitik, sie entstanden durch die Gründung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), der seinen Sitz im Ostsektor hatte und meinte auf die Arbeitnehmerbelange der Gesamt-BVG Einfluss nehmen zu müssen. Der FDGB aber war in den Westsektoren nicht zugelassen, stattdessen bildete sich dort die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO) als ein Vorläufer des späteren DGB. Der BVG-Personaldirektor Knapp war der Politik des östlichen FDGB sehr aufgeschlossen. So kam es, dass sich die Belegschaft der BVG zunehmend gegen Herrn Knapp wandte. Am 9. März 1949 wurde Knapp seitens des Betriebsrates ohne Kenntnis Reuters von seinem Amt abberufen. Darüber hinaus wurde er aufgefordert, das Verwaltungsgebäude der BVG umgehend zu verlassen. Knapp weigerte sich und wies auf den Dienstweg hin, der doch eingehalten werden sollte. 

Am nächsten Morgen wurde Herr Knapp am Betreten des Gebäudes gehindert, es kam zu Tumulten vor der Verwaltung. Nur durch das Einschreiten der Polizei konnte eine Eskalation der Lage verhindert werden. Noch am selben Tag verfügte Reuter als Vorsitzender des Beirates die vorläufige Beurlaubung von Herrn Knapp. Ferner wurde gegen Knapp Hausverbot in der Potsdamer Straße verfügt. Daraufhin unterrichtete Knapp den Ostmagistrat über die "ungeheuerlichen" Vorkommnisse in der Potsdamer Straße. Nun fiel erstmals durch Herrn Knapp der Begriff "Direktionsbüro Ost". Knapp stellte sich das so vor:
Die BVG sollte unverändert in der Potsdamer Straße in den Westsektoren ihren Hauptsitz behalten. Ihm oblag die Führung von Gesprächen zwischen der Verwaltung und dem Ostmagistrat. Hierzu wollte er ein Büro im Ostteil der Stadt beziehen. Es fanden weiterhin Gespräche zwischen der BVG und dem Ostmagistrat statt, doch es wurde im Laufe der Wochen immer deutlicher, dass es so nicht weitergehen konnte. So entschloss man sich zur verwaltungsmäßigen Teilung einiger Direktionsabteilungen der BVG. Am 7. April 1949 wurde diese Verwaltungsteilung durch Reuter gebilligt. Es konnten nun die detaillierten Besprechungen der Teilung geführt werden.

Diese Besprechungen fanden in einer Gaststätte in Friedenau (Friedenauer Verhandlungen) im Beisein Knapps statt. Durch die Wahl eines "neutralen" Ortes sollte der "Hausfrieden" gewahrt bleiben, denn Knapp hatte nach wie vor Hausverbot in der Potsdamer Straße. Es ist nicht einfach, ein Unternehmen mit über 20.000 Beschäftigten so zu teilen, dass diese Trennung nach außen hin unsichtbar bleibt, denn die Verkehrsbedienung sollte in keinster Form beeinträchtigt werden! So entstand aus dem anfänglich angedachten "Direktionsbüro Ost" mit einem Dienstwagen eine regelrechte "Verwaltung BVG-Ost" in der Stralauer Straße, die zumindest auf dem Papier fast gleichbedeutend mit der alten Hauptverwaltung war.

Die Folgen der BVG-Teilung für die U-Bahn

Die U-Bahnstrecken wurden in folgender Form geteilt:

Linie A:
Die Betriebshoheit im Ostsektor wurde der BVG-Ost übertragen. Sie stellt zwischen Potsdamer Platz und Pankow das komplette Betriebspersonal. Da die Züge ohne Unterbrechung in den Westsektor weiter fahren, wird das Zugpersonal intersektorial eingesetzt. Die Zugfahrer und Schaffner bleiben bei ihrem Zug auf dem gesamten Netz. Dagegen fahren BVG-West-Züge mit Westpersonal nach Pankow.

Die Stromhoheit dagegen verbleibt bei der BVG-West. Sie stellt auf der gesamten Strecke die Stromversorgung sicher. Bauausführungen obliegen ebenfalls der BVG-West, bzw. der dort verbliebenen Bauabteilung.

Linie B:
Diese Linie verläuft nur auf rund 400 Metern zwischen der Oberbaumbrücke und dem Bahnhof Warschauer Brücke im Ostsektor. Wegen dieser Insellage wurde vereinbart, dass diese Strecke vollständig der BVG-West zugeschlagen wird. Hier also betriebt die BVG-West uneingeschränkt eine U-Bahnstrecke im Ostteil der Stadt.

Ein weiterer Punkt der Vereinbarung besagt, dass die Betriebswerkstatt an der Warschauer Brücke geschlossen wird.

Linie C und D:
Diese Großprofillinien verlaufen zwischen Stadtmitte und Schwartzkopffstraße bzw. Neanderstraße und Bernauer Straße im Ostsektor.

Die Betriebshoheit geht an die BVG-Ost über. Diese stellt folglich das Betriebspersonal. Der Zugverkehr dagegen wird ausschließlich von der BVG-West mit Westpersonal und West-Zügen sichergestellt. Auch hier wird die Stromversorgung durch die BVG-West sichergestellt.

Linie E:
Diese Linie wird als einzige Linie vollständig von der BVG-Ost verwaltet und betrieben.
Die Stromversorgung stellt gleichfalls die BVG-Ost sicher.

Soweit die Hoheit auf den einzelnen Streckenabschnitten. Das Netz splittet sich bekanntlich in mehr oder weniger unabhängige Linien auf.

Die U-Bahnlinien werden entweder durch die BVG-West, BVG-Ost oder gemeinsam betrieben.

BVG-West-Linien:

A II: Wittenbergplatz - Krumme Lanke
A III: Deutsches Opernhs. - Richard-Wagner-Platz
B I: Nollendorfplatz - Innsbrucker Platz
B II: Warschauer Brücke - Uhlandstraße
C I: Seestraße - Grenzallee
C II: Mehringdamm - Tempelhof
D: Leinestraße - Gesundbrunnen

BVG-Ost-Linie:

E: Alexanderplatz - Friedrichsfelde

gemeinsam zu betreibende Linie:

A I: Pankow - Ruhleben

Das Zugpersonal gehört entsprechend zu beiden BVG-Hälften. Die Zugehörigkeit der BVGer wurde ihnen übrigens grundsätzlich freigestellt. Für die meisten waren jedoch weniger politische Gründe für die Wahl ihres künftigen Arbeitgebers ausschlaggebend als vielmehr der Wohnort und der damit verbundene Arbeitsweg sowie die "Beheimatung" in den Betriebshöfen und Dienststellen.
Niemand wurde von der BVG bzw. BVG-West gezwungen, in die BVG-Ost überzutreten oder umgekehrt!
Offensichtlich fand sich jedoch genügend Personal, das bereit war, für die BVG-Ost, und die damit verbundenen niedrigeren Löhne zu arbeiten.

Auch der Wagenpark der Berliner U-Bahn wird konsequent geteilt:

Kleinprofil
Der A I- und A II-Wagenpark wird geteilt:
Baureihe A I:

Die BVG-Ost erhält 46 Triebwagen aus den Baujahren 1908-26 (8.-18. Lieferung), darunter zwei ehemalige "Schöneberger Triebwagen" und einige "Motorwagen" (ohne Führerstand). Sie sind für den Einsatz auf der Linie A I bestimmt!
Ferner erhält die BVG-Ost 37 Beiwagen der Baujahre 1902-26 (3.-18. Lieferung)

Baureihe A IK:

Mit dieser Baureihe werden die "Blumenbretter" bezeichnet, die seit Ende 1945 auf der Linie E im Einsatz sind. Sie werden komplett der BVG-Ost zugeschlagen.
48 Triebwagen umfasst die Baureihe A IK, sie stammen aus den Baureihen A I der Baujahre 1913-26 (14.-18. Lieferung). Ergänzt wird diese Baureihe durch 46 Beiwagen, unter anderem zwei Schöneberger Triebwagen, die später zu Beiwagen umgebaut wurden. Die Beiwagen stammen von 1924-26 und 1912 (16.-18. und S2-Lieferung)

Baureihe A II:

24 Triebwagen aus den Jahren 1928-29 sind für die BVG-Ost im Einsatz auf der Linie A I. (19.und 20.Lieferung)
Ergänzt werden die "Amanullah-Triebwagen" durch 24 Beiwagen.

Großprofil:
Baureihe B und C:
Diese beiden Baureihen werden komplett der BVG-West zugesprochen, da diese Wagen auf den Linien C und D eingesetzt werden.

Daher verfügt die BVG-Ost über kein einziges "echtes" Großprofil-Fahrzeug.

Neben der U-Bahn werden auch viele Straßenbahnlinien von beiden Betriebsteilen der BVG unterhalten. Viel weiter jedoch geht die Zusammenarbeit der beiden BVG-Hälften nicht!

Die Tarifabwicklung

Die Erhebung der Fahrgelder erfolgt bei der U-Bahn durch die Zugangspassagen und bei der Straßenbahn und dem Autobus durch Schaffner. Bei grenzüberschreitenden Linien wechseln die Schaffner an der Sektorengrenze, die zugleich auch die "Währungsgrenze" ist. Grundsätzlich besteht gegenseitige Anerkennungspflicht der Fahrausweise im Inter-Sektoren-Verkehr. Dagegen erfolgt keine gegenseitige Betriebskosten-Abrechnung. Also: Ein Fahrgast der BVG-West kann die Verkehrsmittel (im Rahmen der Gültigkeit seiner Fahrkarte) ohne Einschränkung benutzen, ohne dass der BVG-Ost dies vergütet wird. Umgekehrt ist dies genauso. Die "Tarifgemeinschaft" geht noch weiter: Seit geraumer Zeit werden wieder Dauerkarten ausgegeben, die zur uneingeschränkten Benutzung berechtigen. Der BVG-West ist es so z.B. gestattet, eine Monatskarte für die Linie E zu verkaufen. Sie kostet 9 DM, die der BVG-West zugute kommen. Die BVG-Ost muss den Fahrgast einen Monat umsonst befördern! Umgekehrt geht dies natürlich auch möglich.

Die Tarife sind übrigens in beiden Betrieben gleich:
Preise verstehen sich in: BVG-West = DM-West, BVG-Ost = DM-Ost

Auszug:

Einzelfahrschein: 0,20 DM
5er Sammelkarte: 1,00 DM