Das historische Dokument:
Eröffnung der Berliner Hochbahn im Jahre 1902
Originaltext aus dem Berliner Lokal-Anzeiger
Sonnabend,
Nr. 78 - 20. Jahrgang
Berliner Lokal-Anzeiger
2. Ausgabe (Abendblatt)
Das Neueste.
Die offizielle Eröffnungsfahrt der Berliner elektrischen Hoch- und Untergrundbahn hat heute stattgefunden. Aus diesem Anlaß hat der Kaiser den am Bau beteiligten Persönlichkeiten Ordensauszeichnungen verliehen.
Die Eröffnung der elektrischen Hochbahn
Heute endlich hat die Eröffnung der Berliner elektrischen Hoch- und Untergrundbahn stattgefunden. Um rollte der erste "offizielle" Zug vom Unterpflasterbahnhof "Potsdamer Platz" aus über die Schienen. Ein für die Berliner und die gesamte deutsche Verkehrsgeschichte bedeutsames Ereignis hat sich damit vollzogen. Über den Verlauf der Eröffnungsfahrt wird uns folgendes berichtet:
Zwei Sonderzüge standen für die geladenen Gäste im Bahnsteigtunnel bereit. Zur Theilnahme an der Fahrt waren erschienen: Der Minister Dr. v. Thielen in Begleitung des Geh. Raths Schultz und des greisen Oberbaudirectors Grc. Wiebe, der Minister des Inneren Freiherr v. Hammerstein, Kriegsminister v. Goßler mit seinem Adjutanten Generalleutnant von Gilliaume, Kultusminister Dr. Studt mit dem Unterstaatssekretär Weber und dem Ministerialdirektor Dr. Althoff in Vertretung des verhinderten Reichskanzler der Staatssekretär Dr. Freiherr v. Richthofen, des Handelsministers der Unterstaatssekretär Lohmann se., ferner der Chef des Civilkabinetts Dr. v. Lucanus, der Staatssekretär des Reichs-Postamts Kraetle. Der Gouverneur von Berlin, General von Habale. Unterstaatssekretär Rothe vom Reichsamt des Inneren, der Commandeur der Eisenbahn-Brigade General von Schubert, der Präsident der Königlichen Eisenbahndirection Wirth, Geheimer Ober-Regierungs-Rath Kranold, die Geheimräthe Fuhrmann und Bork, die Präsidenten und Vice-Präsidenten des Reichstages und des Abgeordnetenhauses, die Präsidenten des Reichs-Eisenbahn-, des Patent-, Reichs-Versicherungsamtes, der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt und der Kunstakademie, der Rector der Technischen Hochschule, die Polizeipräsidenten und Oberbürgermeister von Berlin und Charlottenburg, die Stadtverordneten-Vorsteher und Stellvertreter der drei an der Hochbahn interessierten Städte u.a.m. Der Reichskanzler hatte sein Fernbleiben brieflich entschuldigt.
Staatsminister a.D. Hobrecht begrüßte die Gäste und stellte ihnen die Aufsichtsräte der beiden Gesellschaften, die beim Bau der Hochbahn beteiligt waren, sowie die Herren der Direktion, Bau- und Betriebsleitung vor.
Die Fahrt
Dann verließ der erste Zug pünktlich um den Bahnhof. Zehn Minuten später folgte der zweite Sonderzug. In schneller Fahrt ging es über das Gleisdreieck und das eisenbahnfiskalische Gelände durch das durchschlitzte Haus nach der Potsdamer Straße und dem Nollendorfplatz und von dort durch den Tunnel bis zum Zoologischen Garten. Nach kurzem Aufenthalt ging die Fahrt zurück bis zum Gleisdreieck und von dort über den Landwehrkanal ohne Aufenthalt durch die Stationen der Oststrecke bis zum Stralauer Thor. Auf der Oberbaumbrücke hielten die Züge kurze Zeit. Dann rollten sie in schnellem Tempo zurück nach dem Gleisdreieck. Hier, an der Hinterfront des Kraftwerks hatte die Bauleitung einen nach der Zuglänge bemessenen "Bahnsteig" herstellen lassen, von dem eine Treppe durch ein portalartig ausgestaltetes Bogenfenster der dritten Etage hinab in den Maschinenraum führt. Allein, von dem hochgelegenen Gleis aus, daß die Züge hier passiren müssen, kann man nicht auf den künstlichen "Bahnsteig" gelangen, und so mußten beide Züge bis zu der im Potsdamer Tunnel gelegenen Kreuzweiche zurückbefördert werden, um über diese nach dem niedriger gelegenen Gleis fahren zu können. Nach einstündiger Fahrt war hier die "Landung" bewirkt. Farbige Dekorationen bildeten die Wegweiser nach dem Festraum, dessen Fenster nach der Trebbiner Straße hinaus liegen.
Ansprache des Staatsministers a. D. Hobrecht
Als die Theilnehmer der "Eröffnungsfahrt" sämmtlich beisammen waren, ergriff Staatsminister a.D. Hobrecht das Wort zu einer Begrüßungs-Ansprache in der er einen Rückblick warf auf die Entstehungsgeschichte der Hochbahn und die Schwierigkeiten, welche sich diesem weltstädtischen Unternehmen entgegenstellten. Der Redner gedenkt des heimgegangenen Werner von Siemens als des ersten Begründers der Hochbahn. Aufrichtiger Dank gebühre aber vor allem dem Königlichen Herrn, der es verstand, das Friedenswerk zu fördern: Friede nach Aussen und Innen, gleicher Rechtschutz nur könnten eine solche Vereinigung hervorragender Kräfte möglich machen. Unter der zielbewußten Leitung des Kaisers werde das Werk auch weiter gedeihen, dem ganzen deutschen Vaterlande zur Ehre als Vorbild und Anregung auch für andere Großstädte. Menschenwerk sei ja stets unvollkommen, indes werde dies große Bahnunternehmen ein Sporn sein zu weiteren Nachsinnen, zu weiteren Erfindungen und Fortschritten auf dem Gebiete der Elektricität. Diese Hoffnungen auf die Zukunft aber würden wiederum gestärkt durch die warme Anteilnahme des Kaisers an jedem Werke unseres Culturlebens; deshalb schließe er mit dem Rufe: Gott wolle den Kaiser schützen und erhalten! Nachdem das Hoch verklungen intenierte die auf der Tribüne postierte Kapelle des Eisenbahn-Regiments I die Nationalhymne, welche die Anwesenden stehend anhörten.
Rede des Ministers v. Thielen
Unmittelbar darauf erhob sich der Minister der öffentlichen Arbeiten Dr. v. Thielen. Nachdem, so begann er, daß begeisterte Hoch auf den kräftigen und einsichtsvollen Förderer aller geistigen und künstlerischen Unternehmungen seines Volkes verklungen, geziemt es sich auch in Anerkennung und Bewunderung und mit Dankbarkeit derjenigen Männer zu gedenken, die das großartige Werk, das in seiner Eigenart einzig und allein dastehe, das trotz aller ihm entgegenstehenden Schwierigkeiten von Anfang bis zu Ende so glänzend durchgeführt worden sei, zu gedenken. Die Schwierigkeiten wolle der Minister hier nicht näher darlegen, soweit sie nach Außen in die Erscheinung getreten seien, haben sie ihn reichlich Gelegenheit gegeben sich zu überzeugen, was bei einer Hoch- und Untergrundbahn alles zu überwinden sei. Außerdem könne er sich und seine Alten selbst "citieren". Aber ebenso wie man der Sorgen, Beschwerden und Nöthe vergesse, sobald das Kind im Mutterschooß liege, so wolle der Minister heute nicht der Schwierigkeiten und Sorgen gedenken, sondern dem munteren Kinde am Taufaltare nun die besten Glückwünsche darbringen. Er, der Verkehrsminister fühlte sich besonders geehrt, daß er als Vater und gewissermaßen als der "Große Bruder" dem Täufling seinen Glückwunsch darbringen dürfe, ohne Neid und Mißgunst "Nehmen Sie mir von meinem Verkehr ab, soviel Sie können und wollen; wir alle verfolgen doch ein und denselben Zweck mit Verkehrs-Anstalten bilden alle eine Familie, deren Glieder sich nicht befehden, sondern friedlich nebeneinander wohnen wollen: möge jeder auf seinem Wege bleiben und sehen, was er zum allgemeinen Besten fertig bringt." (Heiterkeit.) Zum Schluß zollt Minister Thielen Dank und Bewunderung den beiden großen Förderern des Werkes, die an seine Ausführung mit bewundernswürdiger Energie herangetreten sind: die wahren Gründer der Hochbahn, die beiden "Senioren", zwischen denen zu sitzen er erfreut die Ehre habe: den Herren Carl von Siemens und den Vorsitzenden des Aufsichtsrathes Excellenz Hobrecht. In diesen beiden Herren möchten sich alle geehrt fühlen, die mitgewirkt haben.
Ordensauszeichnungen
Nachdem die Gläser aneinandergeklungen, ergriff Dr. von Thielen nochmals das Wort, um, was er "beinahe vergessen hätte", mitzutheilen, daß der Kaiser in Anerkennung der Verdienste um das Zustandekommen des großen Verkehrsunternehmens ihn beauftragt habe, die folgenden Auszeichnungen zu verteilen:
Kronenorden III. Klasse
- >Wilhelm von Siemens
- Director Schwieger
- Director Wittig
- Reg.-Baumeister Adolf Lerche
- Bousset
- Werkstättedirector Schicke
Rothen Adlerorden 4. Klasse
- Arnold von Siemens
Allgemeines Ehrenzeichen
Den Betriebs- und Werkstättenbeamten:
- Göring
- Obst
- Schulze
- Johann
- Lau
- Müller
- Hahnert
- Wagner
Abschluß der Feier
Nachdem noch Herr Carl von Siemens den Staats- und städtischen Behörden, sowie seinen Mitarbeitern, insbesondere dem Director Schwieger, seinen Dank ausgesprochen und dem Unternehmen eine frohe Zukunft gewünscht hatte, schloß die Reihe der offiziellen Toaste.
Gegen verabschiedeten sich die Minister und ein großer Theil der Festgäste bestieg den bereitstehenden Sonderzug, um nach dem Unterpflasterbahnhof "Potsdamer Platz" zurückzufahren. Dort traf bald darauf auch der zweite Zug wohlbehalten wieder ein, und damit hatte die feierliche Eröffnung der Hochbahn-Oststrecke ihr Ende erreicht.
Weiterführende Informationen
Die Berliner Hochbahn als Vorläufer der Hamburger Hochbahn - Wie die Ministerfahrt von 1902 die Entwicklung der Hamburger U-Bahn beeinflusste